anwenderreportage

Schweißen mit der Energie der Elektronen

Institut für Werkstoffkunde und Schweißtechnik nimmt Elektronenstrahlanlage in Betrieb: Die neue Elektronenstrahlschweißanlage des Instituts für Werkstoffkunde und Schweißtechnik an der der TU Graz verschweißt verschiedenste metallische Werkstoffe nicht wie herkömmliche Verfahren, sondern mittels präzisen Elektronenstrahls. Die für Forschungszwecke und Versuchsreihen angeschaffte Anlage der Firma pro-beam AG – in Österreich vertreten durch die 1. ISR GmbH– besticht durch Effektivität und hohe Maßgenauigkeit und wurde am 5. November in Graz feierlich in Betrieb genommen.

Verfahrensspezifische Merkmale

Hohe Leistungsdichte (um das 100- bis 1.000-fache höher als beim Lichtbogenschweißen)

Besondere Reinheit der Schweißnaht

Minimierung von Schweißnahtfehlern

Hohe Reproduzierbarkeit der Nahtqualität

Hohe Schweißgeschwindigkeiten

Verschweißen artfremder Werkstoffe

Nahezu verzugsfreies Fügen

Strahlungsdichte Verkleidung der Anlage erforderlich

Autor: Ing. Norbert Novotny / x-technik

Die richtige Werkstoffwahl für Maschinenbauteile und das Verstehen des Werkstoffes selbst sind tägliche Herausforderungen im Berufsleben eines Maschinenbauingenieurs. Auf diese will das Institut für Werkstoffkunde und Schweißtechnik (IWS) die Studenten der Fakultät für Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften an der TU Graz optimal vorbereiten. Dank der langjährigen und intensiven Forschungstätigkeit bietet das Institut zudem für Industriepartner auch Werkstoff- und Prozessberatung, Machbarkeitsstudien, Schadensanalysen und Gutachtenerstellung.

Da man am Institut um die einzigartigen Möglichkeiten des Elektronenstrahlverfahrens zur Bearbeitung eines großen Spektrums metallischer Werkstoffe und Werkstoffkombinationen wusste, suchte man zur Grundlagenforschung im Rahmen eines Projektes nach einer geeigneten Elektronenstrahlanlage. „Die Anwendungsgebiete des Elektronenstrahlschweißens sind sehr breit gefächert. Man findet diese Fügemethode in der Automobilindustrie beispielsweise für Getriebe- oder Motorenkomponenten, in der Medizintechnik etwa für Knochenmarkbohrer oder auch in der Luft- und Raumfahrtindustrie“, erläutert Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Christof Sommitsch, Institutsleiter des IWS.

Sobald die Finanzierung seitens der TU Graz, der Abteilung Wissenschaft und Forschung des Landes Steiermark sowie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) feststand, investiert man in eine neue Elektronenstrahl-Kammeranlage von pro-beam. „Unser Institut ist die einzige Forschungseinrichtung in Österreich, die eine Elektronenstrahlschweißanlage für Grundlagenforschung zur Verfügung hat. Sie verfügt über eine Kammergröße von 1,4 m3 und eine maximale Strahlleistung von 45 kW“, verrät Dipl.-Ing. Dr.techn. Norbert Enzinger, Associate Professor am IWS.

Effektiv und vielseitig

Beim Elektronenstrahl handelt es sich um einen Teilchenstrahl aus negativ geladenen Elektronen. „Die Elektronen werden auf ca. 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und beim Auftreffen auf den Werkstoff abrupt abgebremst. Die Bewegungsenergie der Elektronen wird beim Aufprall in Wärme umgewandelt, die die Materialien schließlich aneinander schweißt“, so DI Guido Reuter, Geschäftsführer der 1. ISR GmbH, der das Institut auch bei technischen Fragestellungen zur pro-beam-Anlage bzw. zum Verfahren selbst betreut. Im Gegensatz zum herkömmlichen Lichtbogenschweißen ist das Schweißen mittels Elektronenstrahls präziser und energetisch viel effektiver, wodurch nur eine sehr schlanke Naht mit geringster Wärmeeinflusszone entsteht.

„Zur Vermeidung einer zu starken Divergenz des Elektronenstrahls infolge von Kollisionen der Elektronen mit den Molekülen der Luft muss im gesamten Strahlerzeugerraum und in der Arbeitskammer, in der sich das Werkstück befindet, ein Vakuum erzeugt und aufrechterhalten werden“, beschreibt Norbert Enzinger. Das heißt, dass der gesamte Schweißprozess unter Vakuum abläuft, was wiederum viele Vorteile mit sich bringt. So kommt es zu einer besonderen Reinheit der Schweißnaht und zu einer Minimierung von Schweißnahtfehlern. „Durch die hohe Energie und Energiedichte ist es außerdem möglich, extrem dünne Folien, aber auch sehr dicke Bauteile aus verschiedensten metallischen Werkstoffen, wie etwa Aluminium, Kupfer, Nickel, Stahl oder Magnesium, in nur einer Lage zu verbinden. Das Verfahren ist also sehr universell einsetzbar“, fährt er fort. Darüber hinaus lässt sich der Elektronenstrahl sehr schnell lenken: Dadurch ist gleichzeitiges Schweißen an mehreren Stellen machbar.

Tiefschweißeffekt und kein Verzug

Beim Elektronenstrahlschweißen wird das Material zunächst geschmolzen und im Zentrum des Schmelzkanals sogar verdampft. Es entsteht eine Vertiefung, in welcher der Elektronenstrahl nun auf das noch nicht verdampfte Material trifft und es dort weiter erhitzt. Auf diese Weise formt sich im Kern eine Kapillare, die einen Mantel aus schmelzflüssigem Werkstoff aufweist.

Bei ausreichend hoher Energiezufuhr durchdringt die entstehende Kapillare das gesamte Werkstück. Der beschriebene Vorgang wird als Tiefschweißeffekt bezeichnet. Mittels dieses Effektes können mit dem Elektronenstrahlschweißverfahren Nahttiefen von bis zu 50 mm bei Kupfer, 200 mm bei Stahlwerkstoffen und bis zu 300 mm bei Aluminiumwerkstoffen in einem Schweißdurchgang erzielt werden. „Schweißverzüge lassen sich durch die schmalen und parallelen Schweißnähte nahezu vollständig eliminieren. Zudem erfolgt aufgrund der Arbeit im Vakuum keine Beeinflussung des Schweißprozesses durch Sauerstoff und andere Atmosphärengase, so dass auch hochreaktive Werkstoffe wie z.B. Titan oder Zirkon verarbeitbar sind “, sieht Norbert Enzinger als weitere Vorteile des Elektronenstrahlschweißens.

Erste beeindruckende Ergebnisse

Ausgezeichnete Eigenschaften beweist das Verfahren bei dickwandigen Bauteilen, insbesondere bei artfremder Schweißung, d.h. beim Fügen unterschiedlicher Metalle. „Obwohl wir Stahl-Alu-Verbindungen mit dem Rührreibschweißen schon sehr gut im Griff haben, möchten wir diese auch mit dem Elektronenstrahlverfahren untersuchen. Wir werden uns aber auch anderen Kombinationen zwischen Kupfer, Stahl, Alu oder Magnesium mit dem neuen Verfahren widmen“, freut sich Norbert Enzinger schon jetzt auf die zahlreichen Versuchsreihen.

In zukünftigen Forschungsprojekten wird man sich am IWS vor allem mit dickwandigen Bauteilen und kriechbeständigen Materialien auseinandersetzen. „Ziel ist eine systematische Erfassung der Schweißparameter für diese Werkstoffe. Die ersten Studien im Rahmen einer Diplomarbeit über das artfremde Verschweißen kriechbeständiger Materialien wie beispielsweise Chromstahl (9 %) und Nickelbasislegierungen wurden bereits auf der Anlage durchgeführt“, so Enzinger. Der Diplomand konnte den Besuchern nach einer Live-Vorführung bei einer Bauteildicke von 50 mm eine feine Schweißnaht präsentieren, die mit einem beeindruckenden Vorschub von 11 mm/s durchgeschweißt wurde. „Auch bei solch dickwandigen Bauteilen von zwei doch sehr unterschiedlichen Werkstoffen benötigt man mit dem Elektronenstrahlschweißen nur eine Schweißlage. Das wäre mit den herkömmlichen Verfahren undenkbar“, erläutert der Diplomand.

Möglichkeiten der Oberflächenbehandlung

Hervorragende Ergebnisse liefert das Verfahren auch beim Erzeugen von Oberflächen-Strukturen, die das Verbinden von Metall mit beispielsweise faserverstärkten Kunststoffen und somit die Herstellung von hybriden Bauteilen für die Medizintechnik oder sogar die Automobilindustrie ermöglichen. „Nur durch eine entsprechende Steuerung des Elektronenstrahls über die Werkstückoberfläche können sehr feine Strukturen sogar im Mikrometerbereich erzeugt werden, und das ohne Schweißzusatzwerkstoffe“, erklärt Enzinger.

Auch zur Oberflächenbehandlung diverser Bauteile zum Löten, Wärmebehandeln, Härten, Beschriften und Bohren kann die hochmoderne Anlage verwendet werden. „Mit Hilfe der integrierten Dinse-Drahtfördereinheit ist sogar das Beschichten mit drahtförmigen Zusatzwerkstoffen als Reparaturtechnologie oder zur Verbesserung der Oberflächeneigenschaften hinsichtlich Verschleißbeständigkeit, Korrosion etc. möglich“, ist Norbert Enzinger vom Potenzial des Elektronenstrahls begeistert.

Vollgepackt mit Messtechnik

Während des Schweißvorgangs entstehen Röntgenstrahlen, die mittels einer komplexen Sensorik direkt für die Überprüfung der Schweißnaht verwendet werden können: Der „hauseigene“ Kontrolleur schweißt quasi gleich mit. Zudem ist die Anlage mit sämtlicher Messtechnik ausgestattet, die pro-beam heute anbietet. Neben einer speziellen CCD-Kamera zur Prozessaufzeichnung verfügt die Anlage über eine On- und Offline Fugensuche, mit der der Fügespalt vor oder während des Schweißens mittels elektronenoptischer Bildauswertung ermittelt werden kann. Darüber hinaus ist ein Abscannen des Fügebereichs zur Bewertung äußerer Einflüsse möglich. „Unser Interesse gilt der Forschung und dem Verstehen der Technologie. Dazu ist eine umfangreiche und hochgenaue Messtechnik eine unabdingbare Notwendigkeit. Hier war die Unterstützung des Herstellers pro-beam und seiner österreichischen Vertretung 1. ISR GmbH wirklich vorbildlich“, zeigt sich Norbert Enzinger über die erfolgreiche Partnerschaft hochzufrieden.

Dipl.-Ing. Dr.techn. Norbert Enzinger
Associate Professor am IWS

„Durch die hohe Energiedichte des Elektronenstrahls ist es möglich, extrem dünne Folien, aber auch sehr dicke Bauteile aus verschiedensten metallischen Werkstoffen, wie etwa Aluminium, Kupfer, Nickel, Stahl oder Magnesium, in nur einer Lage zu verbinden. Das Verfahren ist sehr universell einsetzbar.“

Infos zum Anwender

Neben der Ausbildung von Maschinenbauingenieuren ist die Forschung ein zentrales Aufgabengebiet des Instituts für Werkstoffkunde und Schweißtechnik. Die Forschungsgebiete sind auf drei wesentliche Arbeitsgruppen aufgeteilt: Fügetechnik, Werkstoffentwicklung, Werkstoffmodellierung und –simulation. Das Dienstleistungsangebot des Instituts umfasst Werkstoffberatung, Werkstoffuntersuchungen, Gutachtenerstellung und Schadensanalysen.

Darüber hinaus ist das IWS Konsortialführer des Comet K-Projekts für Fügetechnik JOIN4+ (www.join4plus.at), in dem gemeinsam mit der österreichischen Industrie fügetechnische Fragestellungen bearbeitet werden. In einer nächsten Runde soll auch das Elektronenstrahlschweißen berücksichtigt werden.

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