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Wie smart ist Österreichs Blechbearbeitung?

Die Digitalisierung ist dabei, Produktionsprozesse nachhaltig zu verändern. Es gibt kaum mehr einen Produktbereich, bei dem „smart“ oder „intelligent“ nicht bereits zum alltäglichen Namenszusatz geworden ist. Wie aber steht es um die Umsetzung? Sind die Anwender bereit für die Digitalisierung? Wo stehen sie heute, wohin wollen sie gehen und wie weit? Was versprechen sie sich davon und was brauchen sie, um ihre Ziele zu erreichen? Von Ing. Peter Kemptner, x-technik

Live-Monitoring in Echtzeit: Vision oder bereits Realität? (Bild: Bystronic)

Live-Monitoring in Echtzeit: Vision oder bereits Realität? (Bild: Bystronic)

Florian Pommer
Leiter Betriebsorganisation und Prozesssteuerung, Hargassner GmbH

„Aus einem Kompaktlager mit 1.000 Palettenplätzen werden die Bleche automatisch an zwei Laser-Stanz-Kombimaschinen geliefert und die Ausschnitte an zwei Abkantpressen. Die Gesamtautomatisierung umfasst auch den innerbetrieblichen Transport der fertigen Blechteile zur Weiterverarbeitung bzw. Montage mittels eines Fahrerlosen Transportsystems (FTS).“

Die Digitalisierung ist in aller Munde. Weil die Konzepte von Industrie 4.0 in erster Linie die Produktion verändern sollen, ist das nicht zuletzt auch in der Blechbearbeitung der Fall. Die Hersteller von Blechbearbeitungsmaschinen als Partner der Branche sind längst auf diesen Zug aufgesprungen. Trotz des hohen Reifegrades der mechanischen Technologien schaffen diese zwar weiterhin auch beachtliche mechanische Innovationen, die wirklich bedeutenden Fortschritte erhoffen sich jedoch alle Beteiligten von der Digitalisierung.

Allerdings zeigt eine Umschau in österreichischen Blechbearbeitungsunternehmen und -abteilungen, dass Begriffe wie Digitalisierung, vernetzte Fertigung oder intelligente Fertigungssteuerung keineswegs einheitlich verstanden werden. Gerade in diesem oft sehr scharf von anderen Abteilungen getrennten Bereich gibt es noch zahlreiche Produktionsstätten, in denen das Thema Digitalisierung noch überhaupt nicht angekommen zu sein scheint. Immerhin nimmt die Zahl der Hallen rapide zu, in denen die einzelnen Maschinen miteinander vernetzt werden, um eine zentrale Betriebsdatenerfassung zu ermöglichen.

Wie in der zerspanenden Fertigung, so ist auch in der Blechbearbeitung der Automatisierungsgrad innerhalb der einzelnen Maschinen sehr hoch – ganz egal, um welche es sich handelt. Die Vormaterialzuführung per Roboter oder automatischem Flachtransport hat in der Blechbearbeitung keinerlei Neuigkeitswert mehr. Das reicht bis hin zu vollautomatisch arbeitenden Laserschneidanlagen, Biege- oder Schweißzellen, die Menschen nur noch zu Wartungszwecken betreten.

Assistenzsysteme für Mensch und Maschine werden auf dem Weg zur Smart Factory immer wichtiger:  Sie liefern in Echtzeit relevante Informationen über die Zustände aller angeschlossenen Anlagen auf PC, Tablet oder Smartphone und geben Aufschluss über die Produktivität der jeweiligen Maschine. (Bild: Trumpf)

Assistenzsysteme für Mensch und Maschine werden auf dem Weg zur Smart Factory immer wichtiger: Sie liefern in Echtzeit relevante Informationen über die Zustände aller angeschlossenen Anlagen auf PC, Tablet oder Smartphone und geben Aufschluss über die Produktivität der jeweiligen Maschine. (Bild: Trumpf)

Franz Lugmair
Geschäftsführer der Voran Maschinen GmbH

„Um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben, kann und darf man sich dem Thema nicht entziehen. Ganz im Gegenteil, man muss diese Themen intern forcieren und die Abläufe sowie Prozesse möglichst automatisieren. Leider gibt es keine Standardlösungen – alles muss speziell auf den eigenen Betrieb angepasst werden.

Maschinenanbindung noch als Einbahn

Die Programmierung der einzelnen Maschinen erfolgt bereits überwiegend hauptzeitparallel auf Basis des Digitalen Zwillings des Werkstücks aus der 3D-CAD Software. Allerdings: Die Durchgängigkeit der Daten- und Programmkette scheint in der Mehrzahl der Fälle nicht soweit zu reichen, dass produktionsseitig vorgenommene Änderungen als Feedback in die Konstruktion (bzw. zum Kunden) zurückfließen – nicht manuell und noch viel weniger automatisch.

Die Maschinensoftware übersetzt die Informationen aus den CAx-Systemen nicht nur hauptzeitparallel in Programmabläufe, sondern unterstützt in den meisten Fällen das Personal mittels grafischer Benutzerführung. Noch selten genutzt wird die von vielen Schneidmaschinen gebotene Möglichkeit, Zuschnitte auf Basis von Daten aus dem ERP-System statt auftragsbezogen Verschnitt-optimiert auftragsübergreifend einzuplanen.

Auch in der Schweißfertigung eröffnen Datenmanagementsysteme durch die digitale Vernetzung von Planung, Controlling und Fertigung viele neue Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung für Unternehmen jeder Größe. (Bild: EWM)

Auch in der Schweißfertigung eröffnen Datenmanagementsysteme durch die digitale Vernetzung von Planung, Controlling und Fertigung viele neue Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung für Unternehmen jeder Größe. (Bild: EWM)

Vernetzung mit Grenzen

Mehr als andere Bereiche der Fertigung wird die Blechbearbeitung als zusammenhängende Gesamtanlage betrachtet und betrieben – und angesichts unhandlich großer Teile, speziell beim Vormaterial, auch gemeinsam automatisiert. „Aus einem Kompaktlager mit 1.000 Palettenplätzen werden die Bleche automatisch an zwei Laser-Stanz-Kombimaschinen geliefert und die Ausschnitte an zwei Abkantpressen“, beschreibt Florian Pommer, Leiter Betriebsorganisation und Prozesssteuerung bei der Hargassner GmbH die Anlagen des Heizungsherstellers. „Die Gesamtautomatisierung umfasst auch den innerbetrieblichen Transport der fertigen Blechteile zur Weiterverarbeitung bzw. Montage mittels eines Fahrerlosen Transportsystems (FTS).“

Wer in der Blechbearbeitung einen derart hohen Gesamt-Automatisierungsgrad erreichen möchte, dem stehen allerdings große Herausforderungen bevor, da sich bisher die Industrie nicht auf eine gemeinsame Basis für den Austausch von Daten und Programmen geeinigt hat. „Obwohl unsere Blechbearbeitung besser vernetzt und automatisiert ist als unsere zerspanende Fertigung, ist eine Durchgängigkeit nicht gegeben, es handelt sich um eine Vielzahl einzelner Systeminseln“, berichtete ein Fertigungsleiter, der nicht genannt werden möchte. „Wir müssen zurzeit z. B. noch mit zwei getrennten Werkzeugverwaltungssystemen arbeiten, obwohl Blech- und Zerspanungswerkzeuge gemeinsam gelagert und gewartet werden.“

Zur Optimierung des Materialflusses werden zunehmend auch Fahrerlose Transportsysteme (FTS) eingesetzt. (Bild: DS Automotion)

Zur Optimierung des Materialflusses werden zunehmend auch Fahrerlose Transportsysteme (FTS) eingesetzt. (Bild: DS Automotion)

Planungstools treiben Integration

Erkennbar auf dem Vormarsch sind Fertigungssteuerungs- oder MES-Systeme, die sich auf Basis der Auftragsdaten aus den Warenwirtschafts- oder ERP-Systemen um Dinge wie Maschinenzeiten und Werkzeugbereitstellung kümmern. Immer öfter verwenden diese auch Informationen aus der BDE, um die weitere Planung tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und Führungskräften aussagefähige Management-Visualisierungen zu bieten.

In vielen Fällen stoßen solche Systeme an ihre Grenzen, wenn sie nicht auch auf technische Informationen aus den Produktionsmaschinen zugreifen können. Noch verfügen entweder diese Programme oder die Maschinen – nicht zuletzt wegen ihres oft hohen Alters – nicht über die erforderlichen Schnittstellen. In vielen Unternehmen scheint es aber aktuell bereits begonnene Projekte zur Modernisierung von Software und/oder Maschinenpark mit der Zielsetzung einer engeren Anbindung zu geben.

Digitalisierungsanreiz Instandhaltung

Ein zentrales Motiv dafür, sich mit Digitalisierungsthemen wie intelligenten Maschinen und Fertigungsmitteln aber auch App-Lösungen und der Augmented Reality zu beschäftigen, ist die Instandhaltung. Durch das mobile Bereitstellen von Unterlagen und Anleitungen sowie von Simulationen der Soll-Zustände lassen sich Schulungs- und Wartungsarbeiten mobil unterstützen. Das spart Wege, hilft bei selten durchgeführten Tätigkeiten gegen das Vergessen und verkürzt die Stillstandszeiten.

Die Vision mancher Digitalisierungsbefürworter, dass sich die Produktion ohne menschliches Zutun vollautomatisch an Veränderungen von Produkt- und Auftragsdaten anpasst, kann von den Befragten niemand sehr viel abgewinnen. Dennoch erhoffen sich viele von ihnen weitere Produktivitätsgewinne durch die Zusammenführung und gemeinsame Analyse von Daten, die in der Vergangenheit getrennt gehalten und behandelt wurden.

Viele Inseln, wenig Zusammenspiel

Die dafür erforderlichen Daten zu erfassen und zusammenzuführen, ist die zentrale Herausforderung für die Fertigungsunternehmen selbst, aber auch für deren Systemlieferanten. Wie bereits oben angeschnitten, existieren meist sehr viele Insellösungen nebeneinander. Geschaffen, um Lösungen für Probleme in traditionell abgegrenzten Bereichen zu bieten, widersetzen sie sich mangels Kompatibilität einem sinnvollen Zusammenspiel. Dazu kommt ein Maschinenpark, der wirtschaftlich nicht von heute auf morgen angeschafft oder ausgetauscht werden kann, sondern über viele Jahre mit der Aufgabe wächst. Entsprechend unterschiedlich ist auch die Ausstattung – und spätere Aufrüstbarkeit – der einzelnen Maschinen und Anlagen, und auch diese stellt eine Hürde auf dem Weg zu einer sinnbringenden Digitalisierung dar.

Fertigungsverantwortlichen blieb bisher in der Regel nichts anderes übrig, als sich darauf zu verlassen, mit welchen Mitteln zur Datenerfassung und -kommunikation Maschinen- und Produktionsmittelhersteller ihre Produkte ausstatten. Trotz aller datentechnischen Vereinheitlichungsbemühungen, etwa durch allgemein verwendbare Protokolle wie OPC UA, kann jedoch keiner von diesen allzu weit aus dem eigenen Bereich heraustreten und allgemeingültige, übergreifende Lösungen anbieten.

Unternehmenskultur schlägt Technik

Die gewünschten Effekte der Digitalisierung sind jedoch nur durch eine Zusammenführung der Fertigungstechnik (Operation Technology; OT) und der Informationstechnologie (IT) zu erzielen. Und durch eine Art Demokratisierung der Gesamtdaten, zu denen alle Bereiche des Unternehmens – vom Produktmarketing bis zur Personalverrechnung – beitragen müssen, an denen sich diese aber auch bedienen können müssen.

Das stellt viele Unternehmen vor die Herausforderung, dass Menschen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen zusammenarbeiten müssen, um zu vorzeigbaren Ergebnissen zu kommen. Diese waren in der Vergangenheit oft streng getrennt und hatten kaum Berührungspunkte. Produktionstechniker und IT-Fachleute müssen daher oft miteinander und mit anderen Fachabteilungen erst eine gemeinsame Ebene der Zusammenarbeit und eine gemeinsame Sprache finden. Schlagkräftige Produktionsunternehmen wissen längst, dass dicke Mauern zwischen den einzelnen Fachabteilungen kein Konzept der Zukunft ist und dass die Unternehmenskultur stimmen muss, wenn es darum geht, eine Strategie umzusetzen – nicht nur, aber auch im Fall der Digitalisierungsstrategie.

Digitalisierungsstrategie ist Chefsache

Wie jede andere Strategie, so muss aber auch diese in jedem Unternehmen für den individuellen Fall eigens erarbeitet werden. Die Welt der Elektronik und Software ist schnelllebiger als der klassische Maschinenbau, daher ist es gut, sie immer wieder zu hinterfragen und bei Bedarf an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. Wichtig ist, dass alle betroffenen Bereiche eingebunden sind und dass die Strategie von der Geschäftsführung getragen wird.

Wie eine solche Strategie umzusetzen ist, muss auch jedes Unternehmen für sich entscheiden. Die Mittel sind da, kein Mangel herrscht an Detaillösungen auf allen Teilgebieten der Produktion, insbesondere auch der Blechbearbeitung. Entscheidend sind deren Zusammenführung und Integration in eine Gesamtlösung.

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