anwenderreportage
Meisterstück der Automation
Vollautomatisches Schweißen von Kranauslegern: Hinter der vollautomatischen Fertigung von Kranauslegern stand lan-ge Zeit ein Fragezeichen. Zu komplex, technisch nicht zu lösen, hieß es. Eine innovative Sonderschweißanlage durch die Gemeinschafts-entwicklung von Yaskawa und Liebherr beweist jetzt das Gegenteil.
Sobald der Handlingroboter das Diagonalrohr exakt positioniert hat, beginnen die Schweißroboter mit ihrer Arbeit. (Bilder: DI Ralf Högel)
Sepp Hautzinger
Leiter des Sales Office Austria der Yaskawa Europe GmbH
„Bei diesem Projekt mussten wir tatsächlich alle Register ziehen, um in gemeinschaftlicher Entwicklungsarbeit mit Liebherr eine prozesssichere Lösung zu finden. Es ist die Komplexität der Aufgabenstellung mit zum Teil sehr schwierigen Arbeitsschritten, die das Projekt so anspruchsvoll macht.“
Autor: DI Ralf Högel / Freier Fachredakteur
Das im Jahr 1949 gegründete Familienunternehmen Liebherr zählt zu den größten Baumaschinenherstellern der Welt. Darüber hinaus hat sich Liebherr auch als Anbieter technisch anspruchsvoller, nutzenorientierter Produkte und Dienstleistungen einen Namen gemacht. Heute präsentiert sich das Unternehmen als Global Player mit mehr als 38.000 Beschäftigten in über 130 Gesellschaften weltweit.
Typische Konzernstrukturen sucht man bei Liebherr dennoch vergeblich. Vielmehr ist die dezentral organisierte Firmengruppe in überschaubare, selbständig operierende Unternehmenseinheiten gegliedert, die sich durch Kundenorientierung und Flexibilität auszeichnen. Eine solche Einheit ist das Liebherr Werk in Nenzing. Idyllisch im österreichischen Vorarlberg gelegen beschäftigen sich die rund 1.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Entwicklung und Fertigung von Kranen und Umschlaggeräten für maritime Anwendungen, wie auch in den Bereichen der Gewinnungs- und Umschlagindustrie sowie im Tief- oder Spezialtiefbau. Das Unternehmen produziert und vertreibt ein breites Programm unterschiedlicher Produktlinien. Dazu gehören Schiffskrane, Offshorekrane, Hafenmobilkrane und Reachstacker. Im internationalen Baumaschinenmarkt ist das Werk mit einer breiten Palette von universellen Hydro-Seilbaggern, Raupenkranen und Ramm- und Bohrgeräten vertreten.
Liebherr Krane zeichnen sich durch hohe Qualität und gute Performance aus. Um das hohe Qualitätsniveau in einem dynamischen Marktumfeld langfristig sicherstellen zu können, sind produktionsseitig wegweisende Herstellverfahren gefragt. Bei der Fertigung der Kranausleger, den sogenannten Zwischenstücken oder Z-Stücken, war die Idee, auf vollautomatische Fertigungsverfahren umzusteigen, seit langem im Visier der Fertigungsplaner. Die Steigerung der Produktivität sowie die Humanisierung der Arbeitswelt waren zwei entscheidende Faktoren bei der Investition in neue Fertigungsverfahren. Das bis dato übliche, manuelle Fügen und Schweißen der Z-Stücke gehörte bei den Mitarbeitern zu den erschwerten Arbeiten, musste doch eine Vielzahl der Rohre in gesundheitlich belastenden Stellungen geschweißt werden.
Sportlicher Typ: der MOTOMAN Sechsachser beim Einlegen eines Diagonalrohres.
Infos zum Anwender
Die Liebherr-Werk Nenzing GmbH produziert und vertreibt ein breites Programm unterschiedlicher Produktlinien. Dazu gehören Schiffs-, Hafenmobil- und Bohrinselkrane sowie Hydro-Seilbagger und Raupenkrane.
Sonderschweißanlage schafft Lösungen
„Mit einer teilautomatischen Standard-Schweißanlage wollten wir uns aber nicht zufrieden geben. Gefragt war die Komplettlösung: eine vollautomatische Roboterschweißanlage für Kranausleger in rund 50 verschiedenen Varianten. Die Realisierung des Projektes mit den hohen Anforderungen an die Sonderanlage trauten wir Yaskawa zu“, so DI (FH) SFI Tobias Stroehle, Leiter Ausrüstungsfertigung bei Liebherr.
Dass man bei Yaskawa Europe dank der Motoman Robotec-Vergangenheit über jede Menge Schweiß-Know-how verfügt, ist allgemein bekannt. „Aber bei diesem Projekt mussten wir tatsächlich alle Register ziehen, um in gemeinschaftlicher Entwicklungsarbeit mit Liebherr eine prozesssichere Lösung zu finden. Es ist die Komplexität der Aufgabenstellung mit zum Teil sehr schwierigen Arbeitsschritten, die das Projekt so anspruchsvoll macht“, so Sepp Hautzinger, Leiter des Sales Office Austria der Yaskawa Europe GmbH.
Aufgabe der Anlage ist es, diverse Kranausleger mit einer Länge von 3.000 bis maximal 12.500 Millimeter bei einer Breite von 900 bis 3.000 Millimeter vollautomatisch herzustellen. Dabei muss die Roboterzelle hochflexibel sein, sollen doch Z-Stücke in drei Teilefamilien mit insgesamt über 50 Varianten produziert werden. Das maximale Bauteilgewicht liegt bei rund drei Tonnen. Die Kranausleger bestehen aus vier Längsrohren, den sogenannten Gurtrohren, die zusammen mit den horizontalen Pfosten sowie dem K-Verband quasi den Grundrahmen bilden. Zwischen diese Gurtrohre muss eine Vielzahl von Diagonalrohren zur Versteifung der Konstruktion eingeschweißt werden. Die Roboteranlage soll dabei nicht nur alle Heft- und Schweißaufgaben übernehmen, sondern auch die Bereitstellung der Diagonalrohre samt integrierter Qualitätssicherung.
Während ein Handlingroboter ein Diagonalrohr in die Messstation einlegt, macht sich der andere Sechsachser über seine Verfahrachse mit einem geprüften Rohr auf den Weg zur Einlegeposition.
Überzeugendes Anlagenlayout
Die gelungene Umsetzung der Aufgabenstellung, belegt der Blick auf die Anlage, genauer gesagt auf die Anlagen, denn Liebherr hat zwei völlig identische Roboterschweißzellen geordert. Schweißstation und Bereitstellung für die Diagonalrohre sind räumlich voneinander getrennt. Während zwei Sechsachser des Typs MOTOMAN ES165 und MOTOMAN ES200RN die anspruchsvollen Handhabungs- und Bereitstellungsaufgaben in der Zelle übernehmen, sorgen die zwei MOTOMAN-Schweißroboter EA1900 für das Heften und spätere Ausschweißen der Diagonalrohre. Die Schnittstelle zwischen Schweißstation und Bereitstellung bedient der ES200RN, der über eine Verfahrachse längs der Anlage die beiden Bereiche verbindet. Die Perfektion, mit der die vier Roboter innerhalb der riesigen Anlage auf Zehntelmillimeter genau zusammenarbeiten, ist beeindruckend.
Die Fertigung der Z-Stücke beginnt mit bestimmten Vorbereitungsaufgaben, wie der Montage der vier Gurtrohre zwischen den Planscheiben des Positioniertisches sowie der Beschickung der Anlage mit Diagonalrohren mit dem Elektrohubwagen. Außerdem wird die Zelle noch mit einem Verfahrwagen bestückt, in dem diverse Kleinteile lagern, mit denen die Kranausleger am Ende des Fertigungsprozesses noch zu komplettieren sind.
Den Schweißmarathon absolvieren die MOTOMAN Roboter mit Bravour.
Vollautomatischer Ablauf in den Schweißroboterzellen
Sind die Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen, beginnt der vollautomatische Fertigungsprozess mit dem Start des Automatikmodus. Im ersten Schritt holt der Handlingroboter MOTOMAN ES165 ein Diagonalrohr aus dem Magazin und legt es in einer Messstation ab. Hier findet eine Qualitätsprüfung des Diagonalrohres statt, bei der Kameras auch die Schnittkonturen der Rohrenden exakt vermessen. Währenddessen erfolgt auf der Anlage die exakte Positionierung der Gurtrohre über entsprechende Abstütz- und Zentriereinrichtungen.
Nach abgeschlossener QS-Prüfung holt der zweite Handlingroboter MOTOMAN ES200RN das Diagonalrohr an der Messstation ab und fährt in den Schweißbereich zur ersten Einlegeposition. Hier legt er das Rohr zwischen die Gurtrohre ein – ein Arbeitsschritt, der es in sich hat, wie Sepp Hautzinger weiß: „Der Sechsachser muss das Diagonalrohr von unten zwischen die Gurtrohre einfädeln. Dazu muss der Roboter nicht nur extrem beweglich sein, sondern auch präzise und feinfühlig arbeiten können. Um eine spannungsfreie Endposition des Rohres zwischen den Gurtrohren zu erreichen, öffnet der Sechsachser nach dem Anfahren der Zielkoordinaten seinen Greifer und rüttelt das Diagonalrohr in die gewünschte Position – ein Vorgang, in dem viel Know-how steckt.“
Ist das Rohr positioniert, fahren die beiden Schweißroboter auf ihren Verfahrachsen zum Ort des Geschehens und machen sich an das Heften des Diagonalrohrs. Gleichzeitig kümmern sich die beiden Handlingroboter um die Bereitstellung des nächsten Diagonalrohres nach bewährtem Arbeitsmuster. Sind alle Rohre einer Fläche (Leiter) geheftet, taktet der Positioniertisch das Bauteil weiter zur nächsten Position. Nach diesem Schema komplettieren die vier Roboter den Kranausleger.
Ausgeklügeltes Roboterschweißen ohne Bauteilverzug
Anschließend machen sich die beiden MOTOMAN EA1900 an das Ausschweißen der gewichtsoptimierten Diagonalrohre aus hochfestem Feinkornstahl im MAG-Verfahren. Ein Schweißmarathon mit ausgeklügelter Schweißfolge, der den Verzug an den Bauteilen weitgehend verhindert und von den Robotern maximale Performance und Zuverlässigkeit fordert. „Zwingende Voraussetzung für den anspruchsvollen Job sind qualitativ erstklassige Schweißungen. Kranausleger sind sicherheitsrelevante Bauteile, an die wir allerhöchste Qualitätsansprüche stellen. Durch die MOTOMAN-Roboter können wir diesen Anforderungen gerecht werden und produzieren vorbildliche Schweißnähte“, so Tobias Stroehle.
Nach dem Ausschweißen steht nur noch das automatische Heften und Schweißen der Kleinteile auf dem Programm. Dazu holt sich der Handlingroboter die Teile aus dem Verfahrwagen, positioniert sie und überlässt den Schweißrobotern das Heften und Ausschweißen. Um alle Kleinteile ohne manuellen Eingriff handhaben zu können, kann der Handlingroboter den jeweils benötigten Greifer von einer automatischen Wechselstation abholen. Nach dem Verschweißen der Kleinteile kann der Bediener die fertigen Z-Stücke prüfen und ausspannen.
„Die beiden innovativen Anlagen mit den kooperierenden MOTOMAN-Robotern demonstrieren derzeit das technisch Machbare bei der Fertigung von Kranauslegern. Mit dieser State-of-the-Art-Technology setzen wir neue Maßstäbe in punkto Produktivität und reproduzierbarer Qualität“, freut sich Tobias Stroehle von Liebherr.
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